Schon seit 2008 gab es – für Behörden und Wirtschaftsprüfer – prüfbare Hinweise auf Unregelmäßigkeiten. Sie stammen teilweise von Whistleblowern.
- Die SdK wollte die Beschlüsse der Wirecard-Hauptversammlung vom 24. Juni 2008 für nichtig erklären lassen. Der Vorwurf lautete, die Konzernrechungslegung des im TecDax notierten Anbieters von Internet-Zahlungssystemen sei „in verschiedenen wesentlichen Punkten unvollständig und irreführend“ gewesen. Die Aktien verloren an Wert. Wirecard warf der SdK Insiderhandel sowie mittäterschaftliche Marktmanipulation vor und erstattete Anzeige gegen einen Vorstand. Weil dieser von dem fallenden Kurs profitiert hatte, trat er zurück (Manager-Magazin vom 29.07.2008). Zwei ehemalige Mitglieder der SdK wurden zu Haftstrafen verurteilt. Wirecard reagiert auf den Vorwurf der Bilanzmanipulation und gibt ein Sondergutachten bei Ernst & Young in Auftrag (Handelsblatt vom 05.08.2008).
- Ein ehemaliger Vorstand hat behauptet, dass er 2008 den Aufsichtsratsvorsitzenden darüber informiert habe, dass die veröffentlichten Zahlen nur durch massive Eingriffe in die Buchhaltung zustande kamen. Wirecard soll schon 15 Jahre vor der Insolvenz defizitär gewesen sein (Handelsblatt 28.07.2020).
- Die Staatsanwaltschaft am LG München I geht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung vom 2. Juli 2020 davon aus, dass bereits im Jahr 2014 der Entschluss gefasst wurde, mit vorgetäuschten, also erfundenen Einnahmen die Umsätze und Erlöse künstlich aufzublähen.
- Schon im April 2015 berichtete die Financial Times unter der Überschrift „The House of Wirecards„. Dan McCrum bekam 2019 eine Anzeige der BaFin, siehe unten.
- Anfang 2016 schickt der Investor Fraser Perring einen mehr als 100 Seiten langen Report seiner Analysefirma Zatarra an die BaFin.
- Auch nach einem Bericht im Spiegel mit Vorwürfen gegenüber Wirecard im Frühjahr 2016 ist es zu keinen weiteren Untersuchungen gekommen. Insgesamt sollen 72 Verdachtsmeldungen bei der Financial Intelligence Unit (FIU) in Köln eingegangen sein, die zu keinem Ergebnis geführt haben (Süddeutsche Zeitung 16. Juli 2020). Später wurde die Zahl auf 97 Verdachtsmeldungen erhöht und der Vorwurf erhoben, die Meldungen seien nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet worden (n-tv am 12.08.2020).
- Die Compliance Abteilung der Bayerischen Landesbank (Bayern LB) hat Wirecard 2018 und 2019 bei der „Financial Intelligence Unit“ des Zolls wegen Geldwäsche gemeldet. Daher gab es auch keine Kredite mehr von der Bayern LB für Wirecard.
- Am 30. Januar 2019 schreibt Dan McCrum in der Financial Times: „Executive At Wirecard suspected of using forged Contracts – Internal presentation pointed to possible „falsification of accounts„.
- Am 7. Februar 2019 berichtet die Financial Times über einen „accounting scandal“ bei Wirecard. Wenige Tage später erlässt die BaFin am 18. Februar 2019 eine „Allgemeinverfügung … zum Verbot der Begründung und der Vergrößerung von Netto-Verkaufspositionen in Aktien der Wirecard AG“ . Außerdem erstattet die BaFin 2019 eine Anzeige gegen Dan McCrum von der Financial Times.
- Heinz-Roger Dohms auf www.finanz-szene.de am 4. Februar 2019: „Die große Analayse: Was ist eigentlich Sache bei Wirecard?“ fasst den aufgeworfenen Sachstand sowie die sich daraus ergebenden Fragen zusammen.
- Am 19. Februar 2019 soll Olaf Scholz über die Betrugsvorwürfe gegenüber Wirecard informiert worden sein (Bild 16.07.2020).
- Heinz-Roger Dohms fasst auf www.finanz-szene.de am 19. Februar 2019 die Reaktionen der Presse und der Fachwelt zusammen: „Kommentar: „Der Finanzplatz Deutschland“ und sein irritierendes Verhalten in der Causa Wirecard“.
- Am 15. März 2019 hat Fahmi Quadir von SaFKHeT Capital einen offenen Brief an Dr. Jean-Pierre Busselb von der BaFin geschrieben und Einschätzungen zu Wirecard übermittelt. Auch diesen Hinweisen scheint die BaFin nicht nachgegangen zu sein. Am 19. August 2019 spricht sie in einem Podcast und Pressebeitrag deutlich die „strukturellen Besonderheiten“ in Deutschland an, die sich auch als regulatory capture zusammenfassen lassen. Von der Arbeit der Aufsichtsbehörden hat Fahmir Quadir ohnehin keine hohe Meinung – es habe einen wiederkehrenden „Widerwille des deutschen finanziellen und regulatorischen Establishments, Vorwürfen gegen Wirecard nachzugehen“, gegeben. Insofern sei der Skandal auch „eine Geschichte, die sich offenbar in Deutschland immer wieder wiederholt“, sagt Quadir. „Große Finanzinstitute werden immer wieder in riesige Geldwäscheskandale hineingezogen. Das ist der Status quo in Deutschland.“ (Capital 18.08.2020) Interview von der LGT Bank AG mit Fahmi Quadir, 7. Juli 2021.
- Im April 2020 legt KPMG den Bericht zu einer Sonderprüfung vor, der nicht alle Daten auswerten konnte. Dazu heißt es dann: „Insofern liegt ein Untersuchungshemmnis vor.“ Vor allem zur Höhe und zur Existenz der Umsätze aus sogenannten Drittpartnergeschäften in den Jahren 2016 bis 2018 konnte keine Aussage getroffen werden. Dabei ging es um mehr als 200 Millionen Datensätze, die noch analysiert werden müssten (Download Bericht / Download Kernaspekte).
- Eine im Juni 2020 abgegebene „Audit Opinion“ von EY hält einer Prüfung nicht stand (FT 23.07.2020: „EY prepared unqualified audit for Wirecard in early June“).
- Die Einschätzungen in zwei Ad-hoc-Mitteilungen bzw. veröffentlichten Insiderinformationen nach Art. 17 VO (EU) Nr. 596/2014 stehen jetzt auf dem Prüfstand:
- In der Mitteilung vom 12.03.2020 heißt es unter anderem: „Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hat die Wirecard AG darüber informiert, dass die Sonderuntersuchung in Bezug auf die Geschäftstätigkeit der Wirecard AG in Indien und Singapur sowie den Geschäftsbereich Merchant Cash Advance (MCA) / Digital Lending weitestgehend abgeschlossen ist. Diese Teile des Audits haben in diesen Untersuchungsgebieten aus heutiger Sicht keine substanziellen Feststellungen ergeben, die zu Korrekturbedarf für die Jahresabschlüsse im Untersuchungszeitraum 2016, 2017 und 2018 führen würden.„
- In der Mitteilung vom 22.04.2020 heißt es dann unter anderem: „Bislang haben sich entsprechend des Prüfauftrages in allen vier Prüfbereichen – den Geschäftsbereichen Dritt-Partnergeschäft (TPA) und Merchant Cash Advance (MCA) / Digital Lending sowie bei den Geschäftstätigkeiten in Indien und Singapur – keine substanziellen Feststellungen ergeben, die für die Jahresabschlüsse im Untersuchungszeitraum 2016, 2017 und 2018 zu Korrekturbedarf geführt hätten. Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nicht gefunden.„
- Der Vorstand der Wirecard AG teilt in einer Stellungnahme zur aktuellen Lage des Unternehmens am 22.06.2020 unter anderem mit:
- „Der Vorstand der Wirecard AG geht aufgrund weiterer Prüfungen derzeit davon aus, dass die bisher zugunsten von Wirecard ausgewiesenen Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von insg. 1,9 Mrd. Euro mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht bestehen. Die Gesellschaft ging bisher davon aus, dass diese Treuhandkonten im Zusammenhang mit dem sog. Drittpartnergeschäft (Third Party Acquiring) zugunsten der Gesellschaft bestehen und hatte sie entsprechend in der Rechnungslegung als Aktivposten ausgewiesen. Vorstehendes führt auch dazu, dass die Gesellschaft die Annahmen über die Verlässlichkeit der Treuhandbeziehungen in Frage stellen muss.
- Der Vorstand geht außerdem davon aus, dass die bisherigen Beschreibungen des sog. Drittpartnergeschäfts (Third Party Aquiring) durch die Gesellschaft unzutreffend sind. Die Gesellschaft untersucht weiter, ob, in welcher Art und Weise und in welchem Umfang dieses Geschäft tatsächlich zugunsten der Gesellschaft geführt wurde.“