Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 16. Februar 2021 – 23922/19, Orientierungssatz: Juris

Gawlik / Liechtenstein

Ein Hinweisgeber (Whistleblower) hat vor der Erstattung einer Strafanzeige sorgfältig zu prüfen, ob die Informationen zuverlässig und zutreffend sind. Hat er aufgrund von Informationen in elektronischen Akten den Verdacht einer Straftat (hier: verbotene Sterbehilfe), so gehört zu der von ihm zu verlangenden sorgfältigen Prüfung, dass er in vorhandene ausführlichere physische Akten Einsicht nimmt, wenn diese ihm jederzeit zugänglich sind. (Pflicht von Whistleblowern zur sorgfältigen Faktenprüfung vor einer Anzeige)

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Entscheidung vom 17. September 2015 – 14464/11, Orientieurngssatz Juris

Langner / Bundesrepublik Deutschland

  • 1. Eine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst, die sich auf eine in einer Personalversammlung gemachte Äußerung stützt, greift in den Schutzbereich von Art. 10 MRK ein.
  • 2. Arbeitnehmer sind ihrem Arbeitgeber gegenüber zu Loyalität, Zurückhaltung und Diskretion verpflichtet. Dies gilt insbesondere für den öffentlichen Dienst.
  • 3. a. Verfolgt die Sanktion einer Meinungsäußerung (hier: Kündigung nach dem Vorwurf der Rechtsbeugung gegenüber einem Vorgesetzten in der Personalversammlung) ein legitimes Ziel, ist es Aufgabe des EGMR zu prüfen, ob die verhängte Sanktion bei Betrachtung der Gesamtumstände in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel stand und ob die von den nationalen Behörden zur Rechtfertigung vorgebrachten Gründe „stichhaltig und ausreichend“ waren.
    3 b. Er hat dabei die Umstände der Rechtssache zu berücksichtigen, darunter unter anderem die Gründe des Beschwerdeführers, die ihn zu seiner Äußerung veranlasst haben, deren rechtliche und tatsächliche Grundlage, den genauen Wortlaut und dessen mögliche Auslegungen sowie die Auswirkungen auf den Arbeitgeber und die gegen den Beschwerdeführer verhängte Sanktion.
  • 4. Die Kündigung ist vorliegend nicht als unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung aus Art. 10 MRK zu erachten.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 21. Juli 2011 – 28274/08, Orientierungssatz: Juris

Heinisch / Deutschland

  1. Strafanzeigen von Arbeitnehmern gegen ihren Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in ihren Unternehmen oder Institutionen offenzulegen (whistleblowing), fallen in den Geltungsbereich des Art. 10 MRK.
  2. In einer demokratischen Gesellschaft ist das öffentliche Interesse an Informationen über Mängel in der institutionellen Altenpflege in einem staatlichen Unternehmen so wichtig, dass es gegenüber dem Interesse dieses Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinteressen überwiegt.
  3. Die deutschen Gerichte hatten keinen angemessenen Ausgleich herbeigeführt zwischen der Notwendigkeit, den Ruf des Arbeitgebers zu schützen einerseits, und derjenigen, das Recht der Arbeitnehmerin auf Freiheit der Meinungsäußerung zu schützen andererseits (Zuspruch von 10.000 Euro Entschädigung für den erlittenen immateriellen Schaden und von 5.000 Euro für die entstandenen Kosten).


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